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Selbstständig werden

Eine der grossen Herausforderungen im Alter von 16 bis 25 Jahren ist die Entwicklung hin zu selbstständigen Menschen. Dazu gehört nicht nur die finanzielle Unabhängigkeit: Es bedeutet, in der Lage zu sein, Verantwortung für sein eigenes Leben zu übernehmen.

Niemand wird von heute auf morgen selbstständig. Es ist ein schrittweiser Prozess, der sowohl von uns selbst als auch unserer Umgebung abhängt. Um selbstständig zu werden, müssen wir Erfahrungen machen, gewisse Risiken eingehen, die uns ermöglichen, unsere Fähigkeiten und Kompetenzen zu entdecken.

Dazu sind wir auf ein unterstützendes Umfeld (Familie, Schule, Gesellschaft) angewiesen, das uns Möglichkeiten bietet, unsere Autonomie in einem geschützten und sicheren Rahmen auszuprobieren.

Selbstständigkeit entwickelt sich schrittweise

Zwischen 16 und 25 Jahren verfügen wir im Alltag über mehr Freiheiten und bauen uns Schritt für Schritt und auf mehreren Ebenen unsere Autonomie auf:

  • Sich selbst sein: Das heisst, auszudrücken wagen bzw. ausdrücken können, was man denkt, und zu seinen Entscheidungen, Interessen und Wünschen zu stehen. Sich trauen, so zu sein, wie man ist.
  • Selbst denken: Das heisst, sich selbst zu vertrauen und in sich selbst die Antworten auf die Fragen zu finden, die man sich stellt, ohne sich von anderen oder äusserem Druck beeinflussen zu lassen.
  • Auf sein Leben einwirken: Das heisst, die Möglichkeit zu haben, Dinge zu beeinflussen, die uns nicht passen und Entscheidungen zu treffen, welche die für unser Leben gewünschten Veränderungen herbeiführen.

Selbstständigkeit ist das Resultat verschiedener Lern- und Reifeprozesse (biologische, sexuelle, psychologische, neuronale, soziale, rechtliche Reife), die nicht synchron ablaufen. Wir können beispielsweise durchaus reif genug sein, um bestimmte Entscheidungen zu fällen, aber nicht in der Lage, sie umzusetzen, weil wir finanziell noch von unseren Eltern abhängig sind. Solche Diskrepanzen zwischen unterschiedlichen Reifegraden können Unbehagen, Frust und Spannungen verursachen.

Wenn wir die Ursache dieser Spannungen verstehen, können wir unsere Bedürfnisse besser erkennen und Lösungen finden, die unseren aktuellen Lebensumständen entsprechen.

Volljährig werden

In der Schweiz gibt es zwei wichtige Altersgrenzen für gesellschaftlich anerkannte Reife:

  • Mit 16 Jahren erlangt man die sexuelle und religiöse Mündigkeit. Ab diesem Alter können neue Freiheiten ausgeübt werden (sexuelle Beziehungen, Kauf bestimmter alkoholischer Getränke, Religionsfreiheit), aber wir unterstehen noch der elterlichen Verantwortung. Diese Mischung aus Freiheit und Kontrolle kann zu Hause für Spannungen sorgen. Dann braucht es den Dialog, um ein Gleichgewicht zwischen dem Streben nach Autonomie und dem Bedürfnis nach Schutz durch die Eltern zu finden.
    Mit 18 Jahren erreicht man die zivil-, straf- und bürgerrechtliche Mündigkeit. Ab diesem Zeitpunkt gelten wir als vollwertige Bürgerinnen und Bürger mit Rechten, Pflichten und Verantwortlichkeiten.

Dieser Übertritt ins Erwachsenenalter ist ein wichtiger, wenn auch nicht immer leichter Schritt: Er bringt mehr Freiheit, aber auch mehr Verantwortung.

Umgang mit administrativen Aufgaben und Geld: gar nicht so einfach

Wenn wir volljährig werden, müssen wir in der Lage sein, eine Reihe neuer administrativer Anforderungen (Steuern, Krankenkasse, AHV-Beiträge, Stipendien oder Ausbildungsdarlehen usw.) und Bürgerpflichten (Ausweispapiere, Militär- oder Zivildienst, Abstimmungen usw.) zu erfüllen.

Am Anfang kann uns das alles sehr kompliziert erscheinen. Und das ist normal! Wir können uns den neuen Anforderungen und offiziellen Dokumenten, die es zu bewältigen gilt, nicht gewachsen fühlen. Wir verstehen nicht immer, was wir machen müssen und haben häufig nicht genug Informationen. Manchmal fällt es uns schwer, mit Geld umzugehen. Wir müssen in unserer Agenda Platz für neue Aufgaben schaffen. Da kann man sich schnell verloren oder überfordert fühlen.

Aber keine Panik: Den Umgang mit Geld und administrativen Aufgaben kann man lernen! Bei Schwierigkeiten ist es wichtig, damit nicht allein zu bleiben und sich zu wagen, um Hilfe zu bitten. Damit zeigen wir bereits Verantwortung.

Wenn eine Situation einen in Schwierigkeiten bringt, sollte man:

  • nicht zu lange warten, bis man handelt bzw. reagiert. Je länger man wartet, desto grösser wird in der Regel der Stress;
  • sich von jemandem helfen lassen, der weiss, wie es geht;
  • nicht zögern, Informationen einzuholen (z. B. die Verwaltungen/Stellen kontaktieren) und alle Fragen zu stellen, auch mehrmals, bis alles klar ist. «Dumme» Fragen gibt es nicht, denn das System ist komplex;
  • sich bei Bedarf an Organisationen wenden, die Unterstützung anbieten, beispielsweise für die Erstellung eines Budgets oder eine Schulung in administrativen Belangen.

Sich verändernde Rechte und Unterstützungssysteme

Mit 18 Jahren treten wir in die Welt der Erwachsenen ein, und diese ist nicht unbedingt auf die Realität junger Volljähriger ausgerichtet. Manche Leistungen können mit dem Eintritt in die Volljährigkeit wegfallen oder wir müssen während der Ausbildung mit sehr bescheidenen Mitteln über die Runden kommen oder von den Eltern hinterlassene Schulden übernehmen. Das alles kann die Stimmung und die psychische Gesundheit beeinträchtigen, wir können uns allein, ausgeschlossen oder nicht gut genug fühlen.

Speziell kritisch ist das Erreichen der Volljährigkeit für jene, die in besonderen Verhältnissen leben oder in ihrem Umfeld nicht genug Unterstützung erfahren. Das können beispielsweise unbegleitete minderjährige Asylsuchende, Jugendliche mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten, in Heimen aufgewachsene Jugendliche oder junge LGBTQI-Menschen ohne familiäre Unterstützung sein.

In diesen Fällen ist es entscheidend, dass man sich Unterstützung holt, nicht isoliert bleibt und seine Bedürfnisse geltend macht. Hier einige Ressourcen.